Liebe Schwerstern und Brüder im Glauben,
 
der heutige Volkstrauertag ist eine Gelegenheit, uns an diejenigen zu erinnern, die Leben und Gesundheit für unser Land eingesetzt haben und immer noch einsetzen.
 
Lassen Sie uns deshalb gemeinsam daran erinnern, dass Frieden und Freiheit nicht selbstverständlich sind. Sie sind das Ergebnis harter Arbeit, Engagement und Opferbereitschaft. Lassen Sie uns diese Werte hochhalten und alles tun, um sie für zukünftige Generationen zu bewahren.
 
Weil wir dazu Gottes Hilfe dringend nötig haben, deshalb sind wir jetzt hier bei diesem Gottesdienst.
 
Liebe Mitchristen,
Lieblosigkeit und Aggression, Gewalt und Krieg hat es schon immer gegeben. Wir befinden uns in einer Welt, in der all das uns umgibt wie die Luft, die wir atmen.
Gewiss, an manchen Orten und zu manchen Zeiten ist die Luft „dicker“ als anderswo: stärker aufgeladen mit Verachtung, Hass und Brutalität.
Aber selbst wir hier in Deutschland, die wir fast ausschließlich in Zeiten des Friedens aufgewachsen sind, haben allesamt Erfahrungen hinter uns mit Lieblosigkeit, Gewalt und Aggression. Kein Kindergarten, keine Schule, kein Arbeitsplatz ist völlig frei davon, ja nicht einmal Ehen oder Familien.
Die Chronik dieses Jahres wird wieder zu einer Ansammlung von Schreckensmeldungen werden.
- wenn ein 12- jähriger Schüler seine Eltern umbringt
- wenn Eltern ihr eigenes Kind verhungern lassen
- wenn Kinder entführt, missbraucht und ermordet werden
- wenn ein eifersüchtiger Lebenspartner seine Freundin erwürgt
Einzelschicksale, die uns bewegen und beunruhigen. Daneben gibt es die anderen Berichte und Bilder, die wir leider schon gewöhnt sind: Krieg in der Ukraine, in Israel … gegenwärtig gibt es 33 Kriege weltweit.
Hält man es überhaupt noch aus, gerade mit Kindern am Abend in den Fernseher zu schauen?
In jeder Nachrichtensendung sieht man Tote und grausam Verwundete. Und wir selbst kommen uns so hilflos vor, so ohnmächtig gegenüber alledem, was in unserer Zeit geschieht.
Wenn Jesus nun sagt: „Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ (Mt 5,9) und Udo Lindenberg singt: „Komm, wir ziehen in den Frieden!“, dann stellt sich die Frage, wie das gehen soll. Können wir das: Frieden stiften?
 
Was können wir tun?
Liebe Gottesdienstbesucher,
wir dürfen auf jeden Fall das Denken nicht aufhören, das Denken gegen alles Unrecht, gegen alle Unmenschlichkeit.
Heute, am Volkstrauertag, haben wir dazu ganz besondere Veranlassung. Menschen auch aus unserer Gemeinde, aus unserer eigenen Verwandtschaft waren beteiligt am Krieg. Sie konnten nicht ausbrechen aus dem Teufelskreis von Töten und Getötet werden.
Wo sie ihre Pflicht getan haben, wollen wir ihnen danken.
Wo sie sich für uns geopfert haben, wollen wir sie nicht vergessen. Jeder von ihnen war ein wertvoller Mensch, jeder, der gefallen ist, der vermisst geblieben ist, der in Kriegsgefangenschaft gestorben ist, der auf der Flucht oder im Bombenhagel ums Leben kam, der an den Folgen der Kriegsstrapazen verstorben ist.
Wir dürfen sie immer wieder aus der Anonymität der grauen Masse herausholen, ihre Namen am Kriegerdenkmal nachlesen und – so gut wir können – an jeden einzelnen denken.
Und wir können für sie beten, ihre Namen vor Gott aussprechen, vor Gottes gnädigem Ohr.
Wir wollen hoffen und beten, dass ihre Namen nicht nur auf dem kalten Gedenkstein des Kriegerdenkmals verzeichnet sind, sondern dass sie auch eingeschrieben sind bei Gott im Buch des Lebens.
Wir dürfen hoffen, dass ihre Leiber nicht nur irgendwo in der fremden Erde eines Soldatenfriedhofs ruhen, sondern dass sie eingegraben sind im liebenden Vaterherzen Gottes.
Liebe Mitchristen!
Was können wir sonst noch tun?
Ich glaube, wir müssen immer wieder lernen aus der Vergangenheit, aus den schlimmen Erfahrungen der Geschichte.
Wir leben heute in einer hoch explosiven Welt, in der es auf jeden ankommt, ob er zufrieden und vernünftig und besonnen ist, oder ob er andere herausfordert, provoziert, ob er hetzt und andere in Feindseligkeiten hineinzieht. Das gilt im kleinen, privaten Bereich genauso wie in der öffentlichen Meinung, in der Politik.
„Einer muss anfangen aufzuhören!
Das ist wunderbar leicht gesagt … und unfassbar schwer getan. Aufhören mit der Gewalt, mit dem Streit, mit den Sticheleien, Aussteigen aus der Spirale des „Wie du mir, so ich dir.“ Alles andere aber führt in den Unfrieden.
„Einer muss anfangen aufzuhören!“
Die letzten 100 Jahre zeigen:
Es gibt keinen anderen Weg zum Frieden – im Kleinen wie im Großen!
 
Hätten die Inder ab 1914 mit Gewalt ihre Selbständigkeit erzwingen wollen, wäre das Land Opfer eines brutalen Krieges geworden.
 
Hätte Martin Luther King den Farbigen in den USA nicht gepredigt, dass Gewalt nach Jesu Willen nicht sein darf, dann wäre vor 50 Jahren Amerika wohl in einem furchtbaren Bürgerkrieg verbrannt.
 
Und hätten die Menschen in der DDR 1989 nicht auf die Kraft ihrer Gebete und Lieder vertraut, sondern auf Waffen, hätten sie nicht Kerzen, sondern Molotow-Cocktails in den Händen gehalten, dann hätte der DDR-Staat seine eigenen Bürger erschossen und Mauer und Stacheldraht würden vermutlich heute noch stehen.
 
Dazu das Ergebnis einer wissenschaftlichen Arbeit:
Zwei US-Wissenschaftlerinnen haben in ihrer mehrfach preisgekrönten Arbeit „Why civil resistance works“ über 300 Aufstände und Widerstandsbewegungen der letzten hundert Jahre untersucht.
 
Das Ergebnis ist überdeutlich:
 
Gewaltlose Bewegungen haben eine etwa doppelt so hohe Erfolgsquote;
die Zahl der Opfer und Schäden ist um ein vielfaches geringer;
die Chance auf anschließende Demokratisierung zehn Mal höher;
die Gefahr eines Rückfalls in die Gewalt hingegen nur halb so groß;
und der Erfolg wird wesentlich schneller und natürlich kostengünstiger – also effektiver – erreicht, als dies in Fällen gewaltsamer „Konfliktlösung“ der Fall war.
„Einer muss anfangen aufzuhören!“
 
Wenn Jesu Einladung zum Verzicht auf Gewalt im Großen funktioniert, dann gilt das erst recht für unser eigenes Leben. Jesus lädt uns ein, unsere Angriffswaffen aus der Hand zu legen und verwundbar zu leben. Zu vergeben.
Die Masse der Menschen lässt sich ja so schnell verführen. Oft beginnen feindselige Strömungen recht harmlos. Aber gerade durch die modernen Medien werden sie in kürzester Zeit zu riesigen Kraaken.-
Nie wieder Krieg!
So hat es bei uns im Jahr 1945 geheißen. Es kann so schnell gehen bei den Menschen, dass sie sich umstimmen und verführen lassen.
Liebe Mitchristen!
Worauf können wir vertrauen und bauen, damit wenigstens wir nicht abhängig werden von der Laune und Willkür der anderen?
Halten wir uns an Jesus Christus, denn das Wort Christi bleibt gültig, es bleibt bestehen über alle Wirrnisse der Zeit hinweg:
 „Frieden hinterlasse ich euch; meinen Frieden gebe ich euch.“ „Selig sind die Friedensstifter.“
Befolgen wir mit aller Kraft und ganzem Herzen dieses Wort, damit nicht die Toten in Frieden ruhen, sondern alle im Frieden Christi miteinander leben.
AMEN!